Sonntag, 25. Mai 2014

Die Galionsfigur #8

Die Frau erlitt eine Fehlgeburt und starb, nachdem sie einen toten Jungen zur Welt gebracht hatte. So hatte sich der Wunsch des Vaters erfüllt, aber nicht in der gewünschten Weise. Als der Wirt am nächsten Morgen das Geld zählte, und dann die Vorräte und sah, das mehr ausgeschenkt worden war, als eingenommen, verprügelte er sein Töchter. Er kam zu dem Schluss, dass Töchter zu nichts Nutze waren.
Sie beerdigten die Mutter und den Jungen in stiller Trauer. Die Töchter weinten um ihre Mutter und um die Spiele, die sie nie mit ihrem Bruder spielen würden. Der Vater trauerte seinem Sohn und den Söhnen, die er hätte haben können nach. Für immer sollte es das letzte Mal sein, an dem Vater und Töchter das gleiche fühlten.

The Mother had a miscarriage and died, after she had given birth to a dead boy. So the father’s wish had come true, but not the way he had wanted. When the innkeeper counted the money and then looked at the supplies and saw, that there had been more drinks served than money taken, he beat his daughters. He arrived at the conclusion, that  daughters didn’t have any use at all.
They buried the mother and the boy mourning silently. The daughters cried for their mother and the games they would never play with their brother. The father mourned for his son and the sons he could have gotten. Forever this should be the last time when the father and his daughters felt the same.

Die folgenden Jahre wurden für die Töchter die reinste Qual. Sie standen unter Aufsicht ihres Vaters hinter der Theke. Sie mussten abwaschen, kochen, nähen und alle Arbeiten verrichten, die ihrem Vater nicht tun wollte.  Wenn sie nicht ordentlich arbeiteten, verprügelte er sie, weil er glaubte, dann würden sie besser arbeiten. Wenn sie ordentlich arbeiteten, verprügelte er sie, weil Töchter zu nichts nutze waren. Die Mädchen hatten stets blaue Flecken am ganzen Körper, geschwollene Augen und blutige Lippen sowieso. Ihr Vater forderte von ihnen bedingungslosen Gehorsam und an manchen Tagen erlaubte er ihnen keine Sekunde zu schlafen. In ihrer Familie wurden alle unglücklicher und unglücklicher. Der Vater merkte es nicht einmal und lebte in seinem Unglück, ohne einen einzigen Augenblick zu erkennen, wie sinnlos er sein Leben verbrachte. Er begann zu trinken und vertrank die Hälfte seines Biers oft schon selber. Die ältere Tochter begann ihn mehr und mehr zu hassen. Sie hasste ihr eigenes Leben und sich selbst und immer mehr wuchs der Wunsch in ihr, den eigenen Vater zu töten. Die jüngere Tochter dagegen verbrachte jede freie Minute am Meer. Sie betrachtete die Sonnenuntergänge und die Schiffe, wenn sie mit geblähten Segeln in voller Fahrt auf den Horizont zufuhren. Sie sah die Galionsfiguren, die vorne am Bug der Schiffe standen, frei und hoch über allem, die keiner je belästigte, die keiner je schlug. Die schön waren und nur von Wind und Wellen je berührt wurden. Und sie begann sie zu beneiden. Sie wäre lieber eine Galionsfigur gewesen, ein tote, aber unverletzliche Figur, die zwar fest am Schiff angebracht, aber viel freier als die Tochter eines Wirtes war.

The following years were pure torture for the daughters. They worked under survey of their father in the inn. They had to wash the dishes, cook, sew and all work their father didn’t want to do. When they didn’t work properly, he beat them, because he believed, they would work better then. When they worked properly, he beat them, because daughters had no use at all. The girls had bruises on their whole body, swollen eyes and bloody lips anyway. Their father demanded their absolute obedience and some days he didn’t allow them to sleep a second. In their family everybody became more and more unhappy. The father didn’t even recognize it and lived in his unhappiness, without ever recognizing at any moment, how clueless he spent his life. He began to drink and drank half of his own beer already away by himself. The older daughter began to hate him more and more. She hated her own life and herself and more and more in her the wish became stronger, to kill her own father. The younger daughter spent every free minute at the sea. She watched the sunsets and the ships, when they speeded with swollen sails against the horizon. She saw the figureheads, standing in front of the ships at the bows, free and high above everything, which nobody ever disturbed and nobody ever beat. Which were beautiful and only the wind and the waves ever touched them. She would rather have been a figurehead, a dead, but invulnerable figure, maybe fixed at the ship, but much more free than the daughter of an innkeeper.

Die Schwestern selber lebten beide ja auch schon alle nicht mehr wirklich. Sie waren zu Werkzeugen ihres Vaters geworden, die meistens, wenn sie arbeiteten, nicht einmal mehr nachdachten. Sie waren gefangen und hatten nichts, mit dem sie ihre unsichtbaren Fesseln durchtrennen konnten. Nein, sie lebten nicht mehr, sie existierten nur noch. Aber hatten sie Sehnsucht in sich. Gerade die elendsten Menschen haben sie. Menschen haben Sehnsucht und Träume. Menschen brauchen Liebe. Sie wussten, wenn sie sich nicht befreien würde, würden sie eines Tages ohne Liebe und Träume zugrunde gehen, auch wenn sie es selber nie in Worte fassen konnten.

The sisters actually didn’t live anymore either. They had become tools of their father, don’t even thinking when they worked. They were prisoners and didn’t have anything to cut their invisible chains. No, they didn’t live anymore, they just existed. But there was desire in them. Especially the most miserable people have it. People have desire and dreams. People need love. They knew, if they couldn’t free their selves, one day they would suffer without love and dreams, even though they could never put it into words.

Keine Kommentare -fütter mich!:

Kommentar veröffentlichen